Predigt zum Sonntag Invokavit 2021

Predigt zum Sonntag Invokavit 2021

Die Gnade unseres Herren Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Der Predigttext für den Sonntag Invokavit steht beim Evangelisten Johannes im 13 Kapitel. Ich lese die Verse 21 – 30 aus der neuen Genfer Übersetzung

Danach erklärte Jesus, bis ins Innerste erschüttert: »Ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten.«
22 Die Jünger sahen sich bestürzt an; sie konnten sich nicht denken, von wem er sprach.
23 Der Jünger, den Jesus besonders liebte, hatte bei Tisch seinen Platz unmittelbar an Jesu Seite.
24 Simon Petrus gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, er solle Jesus fragen, von wem er gesprochen habe.
25 Da lehnte sich jener Jünger so weit zu Jesus hinüber, dass er ihn ´unauffällig` fragen konnte: »Herr, wer ist es?« –
26 »Ich werde ein Stück Brot in die Schüssel tauchen«, antwortete Jesus, »und der, dem ich es gebe, der ist es.« Er nahm ein Stück Brot, tauchte es in die Schüssel und gab es Judas, dem Sohn von Simon Iskariot.
27 Sowie Judas das Brotstück genommen hatte, ergriff der Satan Besitz von ihm. Da sagte Jesus zu Judas: »Tu das, was du vorhast, bald!«
28 Keiner von denen, die mit am Tisch waren, verstand, weshalb er das zu ihm sagte.
29 Da Judas die gemeinsame Kasse verwaltete, dachten einige, Jesus habe ihm den Auftrag gegeben, das einzukaufen, was für das Fest nötig war, oder er habe ihn angewiesen, den Armen etwas zu geben.
30 Als Judas das Brot gegessen hatte, ging er sofort hinaus. Es war Nacht.

Liebe Gemeinde,

Die Geschichte von Judas – das ist eine Geschichte, die mich sprachlos macht. Immer wieder
Es war einer aus dem Kreis der Jünger, der mit den Gegnern Jesu zusammenarbeitete. Der ihnen den Tip gab, wo man Jesus gefangen nehmen könnte, ohne dass es einen Volksaufstand geben würde. Es war einer, der immer selbstverständlich dazugehört hatte. Judas – hebräisch Jehuda das heißt übersetzt „Einer, der Gott lobt“. Er kam nicht irgendwo vom Rand der Jesusbewegung.  Er war einer der zwölf und gehörte zum innersten Kreis.

Und noch etwas: Hier war eine Macht am Werk, die selbst Jesus auf das Tiefste erschüttert hat. Diese Macht wird als Satan oder Diabolos, als Teufel symbolisiert. Eine exakte Definition halte ich aber für unmöglich, weil so eine Macht gar nicht wirklich existieren kann. Negativ, wie sie ist,  kann sie nicht vorhanden sein, wie ein Tisch im Zimmer vorhanden sein kann, oder eine Börsenaktie und noch nicht einmal, wie eine Atombombe existiert. Dieser Macht würde ich eine „negative Nichtexistenz“ zuschreiben. Zu begreifen ist sie nicht und ich halte es für sinnlos, das zu versuchen. All die Intrigen, die gesponnen wurden, um Jesus zu verurteilen, waren zwar Ausdruck dieser Macht, aber nicht mehr als das.

Hier ist eine Macht am Werk, mit der Gott sich selbst auseinandersetzen muss. Ein Kampf , dem Jesus nicht ausweichen kann und will – so kam es zum Tod und dann – Gott sei Dank! - auch zur Auferstehung Jesu. Wir Christinnen und Christen glauben, dass in diesem Geschehen das Heil der Welt begründet liegt. Und zu dieser Heilsgeschichte gehört auch Judas. Über seine Rolle kann man lange nachdenken, ohne an ein Ende zu kommen. War sein Motiv enttäusche Liebe – schließlich ist es ein anderer Jünger, von dem gesagt, wird, dass Jesus ihn liebte? Wollte er so das Kommen von Gottes Reich beschleunigen und die Gewaltherrschaft der Römer beenden? Hat er vielleicht wirklich eine wichtige Rolle für die Rettung der Welt gespielt? Jedenfalls macht das Johannesevangelium sehr deutlich, dass nicht Judas allein, sondern jene andere Macht der Urheber dieses Verrats ist.

Die Geschichte von Judas ist eine, die uns Christen kränkt. Hier sehen wir, dass es eine sündlose christliche Gemeinschaft nie gab. Dass auch in der Kirche die heile Welt nicht zu finden ist. Nicht einmal ein Platz am Tisch des Herrn schützt vor dem Verrat. Das ist schwer auszuhalten, und hat immer wieder zu Versuchen geführt, Judas und die „richtigen“ Jünger auseinander zu dividieren. Das hatten schlimme Folgen.

In vielen Werken der bildenden Kunst wurde Judas als der einzige Jude im Jüngerkreis dargestellt – dabei waren alle Jünger und auch Jesus selbst Juden. Sie hatten ja auch andere Eigenschaften. Sie waren Männer, Erwachsene im mittleren Alter usw. Aber das entscheidende ist: Sie waren Menschen.
Der Versuch, in Judas etwas besonderes zu sehen, nur ihn für einen Juden zu halten und ihn gar mit dem Satan zu identifizieren, um die „eigentliche“ Kirche davon rein zu halten, wurde zum Samen eines mörderischen Antisemitismus. So wurden Kirche und christliche Theologie mitschuldig am millionenfachen Mord an Gottes auserwähltem Volk. Und so führten diese Versuche, den Jüngerkreis und damit die Kirche mit eigenen Mitteln „rein“ zu halten dazu, dass die Botschaft Jesu, sein Evangelium, auf die schlimmste Weise verraten wurde. 

Doch wo können wir uns in dieser Geschichte wiederfinden?
Im Nichtverstehen der meisten Jünger? Die hatte ja vermutet, Judas ginge weg , um noch Einkäufe für das Fest zu erledigen oder den Armen etwas zu geben. Das waren falsche und naive Annahmen, weil man sich nichts anderes vorstellen konnte. Aber immerhin keine Verschwörungstheorien, wegen denen dann ein Sündenbock gesucht und noch mehr Unheil angerichtet worden wäre. 
Oder stellen wir uns die Frage, von der Markus in seiner Version unseres Bibelabschnitts berichtet: Als Jesus ankündigte, dass einer der zwölf ihn verraten würde, fragten alle Jünger: „Bin ich es?“ - eine erschreckende Frage. Wenn man die Welt wahrnimmt, wie sie ist, ist es aber auch eine realistische Frage. Und eine, die uns davor bewahren kann, Sündenböcke zu suchen und zu verfolgen und die Welt so noch schlechter zu machen.
Aber möglicher Weise ist unser Platz der des namenlosen Jüngers, den Jesus liebte? Der Platz ganz ganz nah bei Jesus, gleichsam auf seinem Schoß. Vielleicht hat dieser Jünger deshalb keinen Namen? Damit wir eine Platz haben, den wir auch und gerade dann einnehmen dürfen, wenn um uns herum die Welt zu zerbrechen droht?

Den Kampf mit „dem Bösen“ sollen und brauchen wir jedenfalls nicht selbst aufnehmen.Nicht in der Welt und nicht in uns selbst Das können wir getrost Gott überlassen. Dieser Kampf geschieht am Kreuz. Dort wird uns abgenommen, was wir nicht tragen können. Wir brauchen nicht mit Judas in die dunkle Nacht zu gehen. Wir müssen uns nicht damit überfordern die Welt zu retten, weder im Kleinen noch im Großen. So werden wir frei, um zu tun, was unsere Welt ein wenig heller und besser machen kann.  Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahren unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Letzte Aktualisierung: 29.03.2024 | Impressum | Datenschutzerklärung