Predigt für den 1. Sonntag nach Trinitatis

Predigt: Carmen Mewes

„Der Friede Gottes, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. AMEN.“
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
er sitzt im Schatten der hohen Mauer. Männer in langen Mänteln eilen über den Platz. Er sieht, dass sie ihn bemerken – aber sie grüßen ihn nicht. Er grüßt sie auch nicht. Sie verschwinden im Palast. Jeremia ärgert sich. Seine Kollegen sind gefragt. Er nicht. Sie werden gerufen, um ihre Analysen vorzutragen. Seine Mahnungen will keiner hören. Die Kollegen haben andere Methoden. Sie benebeln sich mit Räucherwerk, haben schöne Träume und sagen angenehme Dinge. Solche Leute sind gern gesehene Gäste und Ratgeber im Palast. Als die Sonne hinter der hohen Mauer verschwindet, geht Jeremia ins Haus. Später ruft der Prophet seinen Schreiber und diktiert ihm die Worte, die wir schon in der Lesung gehört haben.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, Jeremia ist einer der leidenschaftlichsten Propheten der ganzen Bibel. Einer, der mit sich und mit Gott immer wieder hadert und streitet. Er ist aber auch einer, der gegenüber seinen Landsleuten vor dem klaren Wort und einer Auseinandersetzung nicht zurückschreckt.
Es gibt ein großes Thema, das Jeremia immer wieder umtreibt: Nämlich, dass die Menschen Gottes Bund nicht mehr ernst nehmen. Und DAS kann nicht gut gehen. Gott hat einen Bund mit den Menschen geschlossen. Er hat ihnen Weisungen, die Thora, gegeben, damit sie wissen, wie Leben gelingen kann. Und als Antwort auf diese Wohltat verlangt Gott, dass die Menschen danach leben!
Da kann man nicht drum herum reden – wie es z.B. die Hofpropheten tun. Die sagen mitten in den Zeiten der Krise: „Leute, es ist alles halb so schlimm. Es wird alles gut.“ Warum reden die so?
Vielleicht meinen sie es sogar gut!?
Vielleicht wollen sie, wie wir alle, vor allem geliebt werden. Darum reden sie wie Träumer. Aber, was ihre Herzen wünschen, ist nicht Realität, ist nicht das Leben. Und den Menschen, den Mächtigen nach dem Mund zu reden ist nicht angesagt.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, der Predigttext spricht mich auch ganz persönlich – als Predigerin – an: Habe ich, wenn ich glaubte, das Evangelium zu verkündigen, das Wort Gottes unverfälscht, ungeschönt, unkorrumpiert, so ärgerlich und unbequem weitergegeben, wie Gott es mir aufgetragen hat?
Kommt das, was ich sage, aus Gottes Mund – oder doch eher „aus meinem Herzen“, manchmal allzu barmherzig und damit beschwichtigend, eher wie eine Beruhigungspille als die nötige, bittere, aber heilsame Medizin?
Heute ist – mit Jeremia- auf jeden Fall kein „Schönwettergott“ zu predigen, sondern ein Gott des reinigenden Gewitters. „Wenn sie – die Propheten- in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren!“
Gott liebt sein Volk und er will Liebe/b>. So habe ich es schon in der Begrüßung gesagt. Gott will Liebe – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Und um dieser Liebe willen ist Gott manchmal auch zornig mit seinen Menschen.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass Liebe und Zorn sich nicht widersprechen müssen. Wer von Ihnen gute Eltern hatte oder selbst versucht, seinen Kindern ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, der weiß: Nicht immer können wir sanftmütig und geduldig sein. Nicht immer können wir nachgeben und uns erweichen lassen. Gerade, weil wir unsere Kinder lieben, bleiben wir beim NEIN, wenn wir uns dafür entschieden haben. Gerade wenn wir unsere Kinder lieben, legen wir ihnen hin und wieder
heilsamen Verzicht auf oder, wenn es gar nicht anders geht, eben auch eine sinnvolle Strafe. Wie sonst könnte ein Kind begreifen, dass es Grenzen gibt und Folgen, wenn diese Grenzen überschritten werden.
Jesus hat uns gelehrt, dass wir unseren Vater im Himmel „Abba“ nennen dürfen und dass wir Kinder Gottes sind. Zum Vaterbild gehört neben der Liebe auch dies: Der Vater erwartet Gehorsam und Ehrfurcht und- wenn es sein muss- auch Verzicht. Nur so können wir folgendes Geheimnis begreifen:
Nämlich, dass Gott uns manchmal liebevoll und gnädig erscheint – und ein andere Mal wir vor seiner Ferne erschrecken. „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“
Diese Worte aus Gottes Mund an Jeremias Zeitgenossen gerichtet, sollen die Menschen zur Umkehr nötigen. Zur Umkehr von ihrem falschen Wandel und ihren falschen Taten – damit ihr Leben wieder gelingen kann!
Auch Menschen, die im Glauben stehen, können Gottesferne erleben. Das ist dann schmerzlich und furchtbar. Wir verstehen Gott nicht und seine Nähe bleibt uns verborgen. Wir empfinden das als große Zumutung.
„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ Manchmal können Menschen später sagen: Gott hat es trotzdem gut mit mir gemeint. Er hat an mir gearbeitet, mich geformt wie ein Künstler. Manchmal können wir im Nachhinein das Ganze sehen und erkennen: Gott war nie wirklich fern, sondern nahe. Ja, so ist Gott.
Unser Predigttext endet mit einem weiteren Wort Gottes, das uns herausfordern will: „Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“ Leidenschaft und Zorn höre ich aus diesen Worten. Ich kann solche Worte von Zeit zu Zeit gut hören; z.B. dann wenn ich selbst sauer bin, weil angebliche Meinungsführer uns in die Irre führen wollen. Dann ist es gut, wenn Gottes Wort fest gefügte Meinungen und schon immer geglaubte Wahrheiten wie Felsen zerschmettert.
Wir alle kennen Beispiele, wenn ein Redner in einer Gesprächsrunde andere Menschen, manchmal ganze Gruppen, verunglimpft, beschimpft oder beschämt. Dabei verbreitet er im Brustton der Überzeugung falsche Wahrheiten. Viele der Zuhörer stimmen zu oder schweigen.
Dann können wir zornig werden. Das ist aber kein Zorn, der den anderen vernichten will. Sondern es ist ein Zorn, der der Gerechtigkeit und dem Leben dienen will, der das Recht und die Würde des Einzelnen aufrichten will.
Von einer solchen Art Zorn ist auch Gottes Zorn in unserem Predigttext. Sein Zorn entbrennt, wenn Menschen sich erdreisten, in seinem Namen falsche Wahrheiten zu verbreiten. Ich denke, es ist letztlich auch unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, dass wir uns einmischen, wenn falsche Wahrheiten verbreitet werden.
Gott will Liebe. Und die Liebe lebt von der Wahrheit. Diese Liebe führt uns zum richtigen Leben.

Ich wünsche uns, dass wir heute ermutigt werden, wieder mehr um die Wahrheit und um den rechten Weg in der Kirche und in der Gesellschaft zu streiten. Und wir haben es ja gehört: Wir sollen uns zuvor Rat holen bei Gott, ihm zuhören, damit wir nicht statt Gottes Wort wieder nur unsere eigene Sicht als Wahrheit verkünden. Lasst uns diese tun in einem Geist, der aufrichtet und Respekt bewahrt.
Jeremia sitzt im Schatten der hohen Mauer. Er hat nicht gut geschlafen in dieser Nacht. Sein letzter Text hat ihn gequält. Er erinnert sich an die Worte Gottes bei seiner Berufung:“ Ich lege meine Worte in deinen Mund, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.“ Das war lange her. Er musste schon vieles ausreisen und verderben in seinem Leben. Doch er weiß: Irgendwann kommt die Zeit, dass Gott ihm sagt:“ Jetzt baue und jetzt pflanze!“ Gott wird sich melden. Gott wird sich einmischen. Wir werden es hören. Zu seiner Zeit. Wie und wo und wann er will. AMEN

Letzte Aktualisierung: 19.04.2024 | Impressum | Datenschutzerklärung