Predigt für den 3. Sonntag nach Trinitatis 20. Juni 2021

über Jona 1,1 – 2,1f.+9

Warum macht er das?…  Und warum mache ich das?

Die Gnade unseres Herren Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Gemeinde,

heute geht es in der Predigt um den Propheten Jona – Sie wissen schon, der mit dem Walfisch. Eben haben wir schon den Psalm aus dem Buch Jona miteinander gebetet. Und vermutlich kennen Sie die Geschichte aus der Kinderbibel, aus einem Bilderbuch oder aus dem Fernsehen. Aber haben Sie die Geschichte auch schon einmal in der Bibel gelesen? Zumindest als Predigttext ist das Buch Jona, oder genauer des erste Teil davon, heute zum ersten Mal in der Perikopenordnung vorgesehen.

Ich lese aus dem Buch Jona das Kapitel 1 und die Verse 1 und 9 aus dem 2. Kapitel.

Es geschah das Wort des HERRN zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem HERRN nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom HERRN. Da ließ der HERR einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben. Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht. Und als sie losten, traf’s Jona. Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du? Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem HERRN floh; denn er hatte es ihnen gesagt. Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer. Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist. Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an.  Da riefen sie zu dem HERRN und sprachen: Ach, HERR, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, HERR, tust, wie dir’s gefällt.  Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten.  Und die Leute fürchteten den HERRN sehr und brachten dem HERRN Opfer dar und taten Gelübde.
Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches
Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

Das ist eine schöne Geschichte, aber ganz offensichtlich kein Tatsachenbericht. Ein Prophet mit dem Namen Jona, Sohn Amittais, lebte im 8. Jahrhundert vor Christus. Über ihn ist nichts weiter bekannt. Unsere Geschichte wird vierhundert Jahre später entstanden sein. Die prächtige Stadt Ninive war zu diesem Zeitpunkt schon zerstört.
Versuche aus dem Zeitalter der Aufklärung diese Geschichte als Tatsachenbericht zu retten – etwas in dem man vermutete, dass Jona nicht von einem großen Fisch gerettet wurde, sondern von einem Schiff, das „Walfisch“ hieß -  machten sie nicht glaubwürdiger.

Doch dem Autor des Jonabuches geht es nicht darum, einen historischen Sachverhalt darzustellen. Diese Geschichte ist kein schlecht gemachter Tatsachenbericht, sondern eine gut erzählte Geschichte voller symbolischer Wahrheiten. Wie in Märchen und Mythen ist hier von allgemeinen Menschheitserfahrungen die Rede, die jeder und jede mal macht.
Und so entstand eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt: Über Gott, über Jona und über uns selbst.

Jona hatte einen klaren Auftrag von Gott bekommen: Er sollte von Israel aus nach Osten auf dem Landweg in die große Stadt Ninive reisen und dort den Menschen predigen, dass ihre Stadt wegen ihrer Bosheit in 40 Tagen untergehen wird.
Jona machte sich auf – doch nicht nach Osten sondern auf den Seeweg auf nach Westen. Er machte also exakt das Gegenteil von dem, was er tun sollte.

Aber warum?
Am weiten und mühsamen Weg kann es nicht gelegen haben. Der Weg, den er nun einschlug, war nicht bequemer, im Gegenteil: Er führte über das gefährliche Meer, das als Chaosmacht gefürchtet wurde.
Hatte Jona Angst die Bewohner von Ninive mit einer bedrohlichen Wahrheit zu konfrontieren?
Und dachte er, es ihnen und sich selbst ersparen zu können, in dem er die Augen davor verschließt und einfach nicht darüber redet? Und das obwohl die Bosheit in Ninive wahrhaftig nicht zu übersehen war?
Hat er befürchtet, dass die Menschen aus Ninive ungehalten oder sogar aggressiv reagieren könnten, gerade weil er mit dem recht hat, was er sagt? Das wäre ja alles verständlich.

Doch dieser Auftrag kam nicht von irgendwoher, sondern von Gott. Hat Jona ernsthaft damit gerechnet, dass Gott ihm das so durchgehen lässt? Hielt er Gott für so schwach? Oder hatte er so schwerwiegende Bedenken gegen diese Mission, dass er sogar sein eigenes Leben riskiert hätte, nur um diesen Auftrag nicht ausführen zu müssen?
Vielleicht, weil er die Feinde Israels in Ninive gar nicht warnen wollte? Weil er befürchtet hatte, dass der Gott Israels (oder er selbst) als Lügner dastehen, wenn das angekündigte Gericht dann doch nicht eintritt? Oder weil er Gott eigentlich nicht ganz über den Weg traute?
Als Gott am Ende der Geschichte die Stadt Ninive tatsächlich verschonte, behauptete Jona, er habe das schon geahnt und den Auftrag deshalb von Anfang an nicht ausführen wollen. Aber waren das auch am Anfang seine Motive? Sie merken schon: da kann man unendlich spekulieren. An einem lauschigen Sommerabend kann das bei einem guten Glas Wein auch durchaus Spaß machen.

Ich merke aber, dass ich mehr davon habe, wenn ich die Geschichte zur Selbstreflexion zu nutzen und über mein eigenes Leben und mein eigene Bild von Gott nachzudenken. Vielleicht wird das Buch Jona deswegen am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, dem Versöhnungstag gelesen. An diesem Tag fasten Jüdinnen und Juden 25 Stunden und denken über ihr Leben nach und auch darüber, mit wen sie sich versöhnen müssten.

Eine Frage, die die Geschichte von Jona mir stellt, ist: Wann war ich in einer Situation, in der ich eigentlich genau wusstest, was richtig gewesen wäre, und dann doch das Gegenteil gemacht habe? Warum? Ich finde das auch im Nachhinein gar nicht so einfach herauszufinden, entdecke nach Jahren weitere Gründe. Manchmal sogar welche, die mich mit der damals getroffenen Fehlentscheidung etwas aussöhnen.

Aber weiter in der Geschichte: Die Flucht war jedenfalls gut geplant. Jona ging hinunter an den Hafen von Jafo. Er suchte sich ein Schiff, das über das Mittelmeer bis nach Tarsis in Spanien fahren sollte. Anders als damals üblich, bezahlte er das Fahrgeld im Voraus. Und dann legte er sich unten im Bauch des Schiffes schlafen. Bloß weg! Und bloß nichts mehr mitkriegen! 

Doch vor Gott konnte Jona nicht so einfach fliehen. Ein heftiger Sturm kam auf. Die Mannschaft und die anderen Fahrgäste aus aller Welt kämpften verzweifelt gegen das Unwetter an. Sie warfen die Ladung ins Meer. Sie beteten inbrünstig – jeder zu dem Gott, an den er glaubte. In unserer Geschichte wird übrigens kein Wort des Tadels über diesen Götzendienst laut. Schließlich weckte der Kapitän Jona. Hatte er wirklich nichts mitbekommen? War er so ignorant? Der Kapitän musste ihn jedenfalls ausdrücklich auffordern zu beten.

Die anderen Besatzungsmitglieder haben in der Zwischenzeit gelost, um herauszufinden, wem sie ihre bedrohliche Lage zu verdanken hatten: Das Los fiel auf Jona. Als sie von Jona wissen wollen, mit wem sie es zu tun hatten, antwortete der denkbar knapp. Gerade einmal Volks- und Religionszugehörigkeit liess er sich entlocken. Er war der einzige Hebräer auf dem Schiff, der einzige, der an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs glaubte.

Die Mitreisenden, alles Menschen, die die Bibel als Heiden bezeichneten würde, machten es sich nicht leicht. Sie hatten zwar ohne zu zögern kostbare Ladung über Bord geworfen. Aber das Leben dieses merkwürdigen Fremden wollten sie nicht leichtfertig opfern. Sie suchten nicht einfach einen Sündenbock. Sie fragten Jona selbst danach, was nun nun tun sei. Er war es, der ihnen sagte,  dass die Katastrophe nur abgewendet werden könnte, wenn sie ihn ins Meer würfen.

Aber warum machte Jona diesen Vorschlag? Wollte er wenigstens seine Mitreisenden retten? Oder war er so trotzig, dass er lieber sterben, als diesen Auftrag erfüllen wollte? Oder meinte er gar das seinem Gott und seinem Volk schuldig zu sein? Damit die in der Welt der Heiden nicht schlecht dastehen? Wieder löst die Geschichte viele Fragen bei mir aus. Und wieder merke ich, dass es heilsamer sein könnte, nicht über Jona zu spekulieren, sondern diese Fragen an mich und an mein eigenes Verhalten zu stellen.

Die Männer vom Schiff hingegen wollten Jonas Leben noch nicht verloren geben. Sie ruderten mit all ihrer Kraft gegen das Unwetter an. Erst als sich das als aussichtslos herausstellte, waren sie bereit Jona ins Meer zu werfen. In einer jüdischen Geschichte wird sogar erzählt, dass die Männer Jona drei Mal ins Wasser gehalten haben. Einmal bis zu den Füßen, ein Mal bis zum Bauch und ein drittes Mal bis zum Hals. Jedes Mal hörte der Sturm auf, wenn Jona im Wasser war, und jedes Mal begann er wieder zu toben, wenn die Männer Jona wieder aus dem Wasser zogen. Erst als sie wirklich alles probiert hatten, warfen sie ihn ins Meer und das Meer blieb still. Mich beeindruckt es, wie positiv im Buch Jona und in jüdischen Auslegungen die andersgläubigen Menschen aus den fremden Völkern beschrieben werden. Das gilt für die Seeleute auf dem Schiff ebenso, wie für die Bewohnerinnen und Bewohner von Ninive, von denen der zweite Teil des Buches handelt, der hier nicht vorgelesen worden ist. Nachdem die Leute von Ninive von Jona damit konfrontiert wurden, dass die Bosheit in ihrer Stadt herrscht, haben sie ihre Chance genutzt und sich geändert. So wie die Geschichte erzählt ist, lässt sie Jona und (damit auch der Leserin und dem Leser) eigentlich keine Chance, die Verantwortung für die Misere einfach auf „die Anderen“ oder „die Fremden“ zu schieben. Und das Buch Jona lässt kein Zweifel daran, dass der Gott Israels Heil für die ganze Welt will.

Um so enttäuschter war ich, als ich eine Predigt von Martin Luther aus dem Jahr 1526 über das Buch Jona las. Er missbraucht dieses Buch, um zu behaupten, dass die Verheißung Gottes nicht mehr den Juden, sondern den Christen gelte – die Juden könnten sich ja taufen lassen und dann auch daran teilhaben. Da ich von Luther eigentlich eine Menge halte, habe ich mich regelrecht dafür geschämt.

Doch wir wollen uns erneut der Geschichte zuwenden: Für Jona ging es nun noch einen Stufe tiefer herab: in die Untiefen des Meeres. Aber Gott gab ihn nicht auf. Er schickte einen großen Fisch und Jona landete in seinem Bauch. Drei Tage blieb er im Bauch des Fisches. Blieb mit sich selbst konfrontiert, im Rachen des Todes, in der Tiefe unter Wogen und Wellen, fernab von allem Leben. Manche Dinge lernt man leider nicht freiwillig. Doch auch an diesem unwirtlichen Ort erreichte Jonas Gebet Gott. Nach drei Tagen spuckte ihn der Fisch aufs Land. Die Zeit im Fisch war eine Krisenerfahrung, die Jona verändert hat, und die ihn bereit gemacht hat, seinen Auftrag doch noch auszuführen. Nun war er in der Lage den Menschen und den Tieren von Ninive zu Reue und Umkehr und damit zu neuem Leben zu verhelfen.

Wenn man den weiteren Verlauf unsere Geschichte betrachtet, erscheint mir die Beschreibung von Jonas Charakter realistisch und ernüchternd. So ganz hat er sich nicht geändert. Es bleibt fraglich, ob er selbst wirklich begriffen hat, dass Gott das Leben will und nicht Rache und Opfer. Dass Gott zur Versöhnung bereit ist und auch selbst uns Menschen dazu einlädt. Wenn man liest, wie zornig er darüber war, dass Ninive nicht untergegangen ist, und wie wütend er war, dass der Rizinusbaum, der ihm Schatten gespendet hat, eingegangen ist, scheint ihm das nicht ganz begriffen zu haben . Trotz der eindrücklichen Erfahrung im Bauch des Fisches hätte Jona da noch einiges zu lernen. Aber ehrlich gesagt kenne ich das leider auch von mir. Es sind immer wieder ähnliche Herausforderungen, mit denen ich zu kämpfen habe.
Und ich hoffe, dass Gott auch mir immer wieder Walfische, Rizinusbäume und ähnliches schickt und mir eine neue Chance gibt. Und bei all meinen Versuchen mit einem liebevollen Blick auf mich sieht.
Und wie geht es Ihnen?

Der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Letzte Aktualisierung: 25.04.2024 | Impressum | Datenschutzerklärung