Predigt für den Sonntag Judika

Für die Kirchengemeinde Kosel von Pastorin Peggy Josefine Kersten aus Waabs; Kirchengemeinde Schwansen

Liebe Gemeinde in der Kirchengemeinde Kosel und Fleckeby, und wo auch immer Sie und Ihr dies lest!

Heute hätte ich, Peggy Josefine Kersten, als Vertretungspastorin im Kirchenkreis gern einen Gottesdienst mit Ihnen und Euch in der St. Laurentius Kirche in Kosel gefeiert. Statt dessen schicke ich auf diese Weise meine Gedanken zu Ihnen und Euch aus der Marienkirche in Waabs an der Ostsee, wo ich in der Kirchengemeinde Schwansen Pastorin bin.

Wir gehen miteinander weiter durch die Passionszeit – auf Ostern zu. Judika heißt der heutige Sonntag – der Betende des 43. Psalms betet: „Judica me deus!“ – „Schaffe mir Recht, Gott!“

So betet ein in Not geratener Mensch im Psalm 43.
Die Worte des Betenden klingen ähnlich, wie die Worte des Hiob:
Er hat allen Grund zur Klage: Krank bis auf die Knochen, verlassen von allen, die er liebt, schreit Hiob zu Gott.

Hiobs Worte (Buch Hiob Kap. 19,19-27) sind Predigttext für den heutigen Sonntag:

„Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon.
Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen!
Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch?

Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden!
Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen!

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.
Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen.

Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“

Ist es wirklich so, was Hiob sagt,
dass all das Leid, das wir erfahren, aus Gottes Hand kommt?

Ich frage mich:
Ist Gott so? Ist Gott der Verursacher unseres Leids?

Im Buch Hiob, das ca. 350 bis 200 Jahre vor Jesu Geburt entstanden ist, haben sich Menschen die Frage gestellt, wie Gott mit dem Leid, das auf der Welt passiert in Verbindung steht.
Das literarische Werk des Buches Hiob in unserer Bibel geht dieser Frage quasi exemplarisch nach:
Hiob ist darin ein Mensch, der wie kaum ein anderer an seinem Glauben an Gott festhält. Am Anfang des Buches Hiob steht ein Gespräch zwischen Gott und dem Teufel:
Gott hält auf Hiob große Stücke und er lobt Hiobs Gottesglauben sogar vor dem Teufel. Der Teufel aber meint, dass Hiob nur deshalb so gottesfürchtig sei, weil Gott es ihm ja so gut gehen lasse und er ihn gut beschütze.
Deshalb schlägt der Teufel Gott vor: „Nimm Hiob doch einmal alles weg, was er hat – und dann wird sogar Hiob seinen Glauben an Dich, Gott, verlieren.“
Gott lässt sich tatsächlich auf dieses Spiel mit dem Teufel ein: Er übergibt Hiob dem Teufel…und so kommt schreckliches Leid über Hiob:

Hiob verliert all seinen Besitz, seine Frau und seine beiden Söhne kommen ums Leben. Hiob wird schwer krank.
Selbst seine Freunde verlassen ihn.
Und Hiob versteht Gott und die Welt nicht mehr: Hat er denn nicht immer nach Gottes Willen gehandelt?

Die Geschichte von Hiob erinnert mich an die Geschichte des Landstreichers Michael, der in Sörup, der ersten Pfarrstelle von meinem Mann und mir, regelmäßig etwa zweimal im Jahr auf seiner Durchreise bei uns im Pfarrhaus eingekehrte.
Er wollte nie einfach so Geld geschenkt bekommen, sondern immer etwas dafür arbeiten.
Deshalb hat er im Herbst auf dem Friedhof Blätter geharkt. In einem Sommer habe ich Michael gebeten, mir dabei zu helfen, unseren Geräteschuppen im Garten zu streichen.
Während der Arbeit erzählte mir Michael seine Geschichte:
Er war Schwede – hatte sich mit seiner Familie ein schönes Holzhaus gebaut in Schweden.
Er hatte eine Frau und zwei kleine Töchter gehabt.
An einem winterlich, nebligem Tag wurde seine Frau, die die beiden Kindern in ihrem Auto hatte, beim Überqueren eines Bahnsteigs von einem Zug erfasst: Alle starben.

In seiner Verzweiflung hatte Michael das Haus mit Benzin übergossen und alles angezündet:
Sein ganzes bisheriges Leben brannte ab.
Seitdem war Michael obdachlos.
Er konnte einfach nicht mehr in einem festen Haus wohnen – zog von Ort zu Ort seit diesem Unglück:
Im Sommer war er im Norden; die milderen Winter verbrachte er im Süden, in Frankreich, Spanien oder Portugal.
Michael las viel Zeitung – er hatte im Laufe seines unsteten Lebens sechs Sprachen erlernt.
Hatte Unterschlupfe gefunden, die er, so wie unser Pfarrhaus, immer wieder besuchte:
Er bevorzugte das Land, denn die Städte waren ihm zu voll – die Unterkünfte dort dreckig und er fühlte sich immer in der Gefahr, beklaut zu werden.

Als Michael nach ein paar Tagen unsere kleine Kammer im Pastorat in Sörup verließ, fanden wir eine mit Kreide geschriebene Schrift auf dem Fensterrahmen:
„The Lord is my pilot.“ – „Der Herr ist mein Pilot.“

Wir wissen nicht, wohin der Pilot Michaels Flugzeug gesteuert hat.
Michael kam noch viele Male – aber als das Pastorat in Sörup restauriert wurde, kam er nicht mehr wieder.

Wie können Menschen an Gottes Kraft trotz alle dem festhalten, wenn Ihnen solches schweres Leid passiert?
Das ist eigentlich für mich die größere Frage, die ich mir stelle, wenn ich auf die Geschichte Hiobs und auf die Geschichte von Michael blicke.
Das Leid ist offenkundig in unserer Welt. Und wenn ich glaube, dann muss ich mich fragen, wie das Leid und mein Glaube an Gott miteinander verbunden sind.

Mich beeindruckt es zutiefst, wenn Menschen, die solch unsägliches Leid erfahren, dennoch an Gott festhalten
– und dass sie das tun, ist für mich ein Zeichen, dass Gott sie nicht verlassen hat!
Dass Gott auch für sie mächtiger ist als das Leid!

Am Ende der Hiob-Geschichte erfährt Hiob schließlich eine Erlösung aus seinem Leid.
Gott segnet ihn erneut mit einem guten Leben.
Dennoch bleibt das Leid, das Hiob zuvor erfahren musste, unerklärt.

In der Zeit der Pandemie liegen Menschen ganz allein in den Krankenhäusern, nur wenige Menschen aus der Familie können sie besuchen. Manche sterben ohne ihre Familien.
Dies ist eine der grausamen Wirklichkeiten in dieser Pandemie.

Hiob selbst klagt Gott an – und er spricht Gott schuldig. Und außerdem bittet und fleht Hiob weiterhin zu Gott.
– Hiob macht sich selbst nicht klein.
Er trägt sein Leid vor Gottes Angesicht.
Trotz allem Leid, das er am eigenen Leib erfährt, hält Hiob an Gottes Barmherzigkeit fest:
Er erinnert Gott – ja er nagelt Gott an seiner eigenen, an Gottes Barmherzigkeit fest.

Hiob gewinnt schließlich seinen Kampf – seinen Kampf, den er nicht gegen Gott führt –
sondern gegen das Leid.
Er nimmt sogar das Leid aus Gottes Hand an – und er gewinnt den Kampf gegen den Teufel, der hier für mich das Symbol ist für das Leid.

Hiob zieht Gott am „Rockzipfel seiner Barmherzigkeit“ vom Himmel herunter zurück in sein Leben, wie Luther es gesagt hat.

Gott kann nicht unbeteiligt bleiben, wenn der Mensch leidet!
So hat die Macht des Bösen keine Macht mehr über Hiob – und sie hat auch keine Macht mehr gegenüber Gott!

Christliche Theologie sagt, dass Gott nicht unberührt bleibt vom Leid:
Dass Gott mit uns Menschen mitleidet:
Dass Gott sich selbst in unser menschliches Leid hineingibt, indem er seinen Sohn durch den Tod gehen lässt: Damit kein Mensch allein ist im Leid!
Gott löst das Leid nicht auf.
Aber er durchbricht die Einsamkeit des Menschen in seinem Leid.

Kein Mensch stirbt allein: denn Gott stirbt mit ihm seinen Tod.

Mir kommt die wunderbare Melodie aus der Motette von Heinrich Schütz in den Sinn:
Ich weiß dass mein Erlöser lebt!

Erklärt wird das Leid damit nicht – es wird besiegt:
Durch Gottes Barmherzigkeit wird das Leid besiegt
mitten in unserem Leben: Für uns alle!

Amen.

 

 

Letzte Aktualisierung: 29.03.2024 | Impressum | Datenschutzerklärung